„Die Macht ist aus sich heraus weder gut noch böse, sondern empfängt ihren Sinn erst aus der Entscheidung dessen, der sie braucht. ... So bedeutet Macht eben so viel Möglichkeit zum Guten und Positiven, wie Gefahr zum Bösen und Zerstörenden.“
So hat es Romano Guardini bereits 1951 in seinem Artikel „Die Macht“ sehr treffend formuliert. Mit der Schöpfung hat der Mensch Macht bekommen, die Erde zu bebauen und sein Leben zu gestalten: In 1. Mose 1,28 steht „Macht euch die Erde untertan.“ Es gibt viele Formen positiver Machtanwendung als Polizist, Steuerberater, Arzt oder als Experte in einem Bereich oder wenn man mit einem besonderen Charisma ausgestattet ist. Aber auch in unserem alltäglichen Leben bei der Erziehung der Kinder, durch unsere Meinung oder unserem Verhalten „machen“ wir täglich etwas.
So soll auch die Gemeindeleitung viel Positives mit der Gemeinde „machen“. 1. Petrus 5, 2.3 „… versorgt die Gemeinde, die euch Gott anvertraut hat, nicht als Herren der Gemeinde, sondern seid ihre Vorbilder“. Die Gefahr des Missbrauchs der Macht ist aber sehr groß. Der 3. Johannesbrief ist ein konkretes Bespiel für einen Machtmissbrauch in der Gemeinde. Hier will Diotrephes der Erste sein, schließt Menschen unberechtigt aus der Gemeinde aus und will das Verhalten anderer bestimmen. Das nennt man geistlichen Missbrauch und ist mehr oder weniger offensichtlich. Dieser Missbrauch geschieht zum Beispiel zwischen Geschwistern in einer Gemeinde oder wenn eine Gemeinde Kontrolle ausübt und Manipulation stattfindet. Sie kann in der Dominanz einer Meinung bestehen oder die Bestimmung der Zeit anderer. Manchmal wird die Macht missbraucht, indem Zuhörer durch eine einseitige Verkündigung unter Druck gesetzt werden. Manchmal wird die Beachtung in der Gemeinde an Leistung geknüpft.
Geistlicher Missbrauch liegt dann vor, wenn geistliche Leiter ihre Machtstellung in der Gemeinde oder in einem religiösen Werk dazu missbrauchen, eigene Macht- und An- erkennungsbedürfnisse zu befriedigen. Eine besonders schlimme Form des Machtmissbrauchs ist die des sexuellen Missbrauchs, und ganz besonders, wenn sie zudem auch noch mit einem geistlichen Missbrauch in Zusammenhang steht.
Wer in dieser Thematik sensibilisiert ist, entdeckt auch im privaten Umfeld immer wieder Beispiele des Machtmissbrauchs: Das kann das unangemessene Schweigen des Partners sein, oder ein Kontrollzwang der finanziellen Ausgaben oder eine übergriffige Mitbestimmung der Lebensgewohnheiten der eigenen Kinder. Das alles kann, wie zu biblischen Zeiten, oft über eine lange Zeit unentdeckt bleiben. In 2. Korinther 11,20 steht dazu: „Denn ihr ertragt es, wenn euch jemand knechtet, wenn jemand euch aufzehrt, wenn euch jemand einfängt, wenn jemand sich überhebt, wenn jemand euch ins Gesicht schlägt.“
Derjenige, der Macht missbraucht, tut das meistens ohne Absicht. Er tut es mit seiner perfektionistischen Denk- oder Lebensweise. Er ist oft nicht fähig, die Andersartigkeit anderer zu respektieren. Manchmal sind es narzisstische Persönlichkeiten. Leider sind Menschen, die ihre Macht missbrauchen, selten einsichtig. Darum gilt für uns alle: Nur der geht mit seiner Macht gut um, der sich seiner Macht bewusst ist und achtsam damit umgeht. Das bedarf einer gesunden Selbst-Reflektion und der Erlaubnis anderer, uns zu hinterfragen.
Um aus einer Machtfalle auszusteigen, hat es sich immer wieder als hilfreich erwiesen, seine Erlebnisse mit anderen zu reflektieren und nach Lösungswegen Ausschau zu halten.
Rolf Trauernicht, Kassel